Rund 50% der Bevölkerung leben in ländlich geprägten, klein strukturierten Räumen. Wie sich diese Räume in Zukunft entwickeln, ist für ein Land wie Österreich und für die Europäische Union insgesamt von enormer Bedeutung. Dabei wird die Fähigkeit der wesentlichen „Player“ ländlichen Regionen – Gemeinden, Unternehmen, Institutionen – , mit Wandel und veränderten Rahmenbedingungen umgehen zu können, mit entscheidend sein. Vor allem „weiche“ Faktoren wie z.B. Erneuerungsgeist, Nutzung vorhandener Potenziale, Kooperation, ein positiver Umgang mit Vielfalt, Beteiligung und bestmöglicher Umgang mit Wissen spielen eine wichtige Rolle.
Die Relevanz von ländlichen Regionen und kleinen Strukturen
Österreich ist weitgehend ländlich und klein strukturiert: Rund 50% der Bevölkerung leben nicht in urbanen Ballungsräumen, sondern in ländlich strukturierten Räumen: in äußeren Stadt-Umland-Regionen, in Tourismusregionen, in peripheren ländlichen Gebiete oder in „alten“ Industrieregionen. Gleichzeitig ist Österreich vor allem in diesen Räumen durch Kleinstrukturiertheit – kleine Gemeinden und kleine Unternehmen – geprägt. Die Relevanz dieser strukturellen Rahmenbedingungen steht im Gegensatz zu einer medial übermäßig transportierten Bedeutung großer Unternehmen und großer Städte. Wie sich Gemeinden und Regionen außerhalb von Ballungsräumen und kleine Strukturen entwickeln, ist somit für ein Land wie Österreich, wie auch für die anderen europäischen Länder von enormer Bedeutung.
„Ländliche“ und „kleine“ Strukturen sind, wie die Gesellschaft insgesamt, einem vielfältigen demografisch-wirtschaftlich-technologischen Wandel unterworfen, der ihre Rahmenbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten prägt. Vor allem steigt die Bedeutung von Wissen und Innovation. Dieser Wandel erzeugt Druck mit entsprechenden Folgewirkungen wie zum Beispiel Abwanderung von jungen Qualifizierten, ein Sinken der regionalen Wertschöpfung oder den Rückzug öffentlicher Infrastruktur. Die Fähigkeit von ländlichen Regionen, mit veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen umgehen zu können, wird – abgesehen von allgemeinen, externen Rahmenbedingungen – entscheidend sein.
Die Fähigkeit mit neuen Herausforderungen umgehen zu können, ist entscheidend
Viele zukunftsweisende Beispiele zeigen, wie in den letzten Jahrzehnten auf Herausforderungen des Wandels und auf krisenhafte Entwicklungen in ländlichen Regionen mit neuen Wegen und Strategien reagiert wurde. Dazu zählen: a) Gemeindeinitiativen wie der aus Oberösterreich bekannt geworden „Steinbacher Weg“, die auf eine neue politische Kultur und auf Erneuerungsgeist setzen, b) die Neupositionierung von Regionen unter dem Vorzeichen vorhandener regionaler Potenziale (z.B. Vulkanland); c) Kooperationsmodelle in der Landwirtschaft (z.B. Tauernlamm) oder in Handwerk, Gewerbe und Industrie (z.B. Werkraum Bregenzerwald, Kraft.DasMurtal); d) die Nutzung lokaler erneuerbarer Ressourcen als Wertschöpfungspotenzial (z.B. Güssing), e) die zukunftsweisende Nutzung von altem Wissen (z.B. TEH im Saalachtal) oder f) Bürgerbeteiligung als Aktivierungs- und Lösungspotenzial für lokale Herausforderungen (z.B. Interkulturelles Zusammenleben oder lokale Agenda21-Projekte).
Der innovative Umgang mit Wandel widerspiegelt sich auch in regionalpolitischen Strategien und Förderpolitiken der letzten Jahrzehnte: von der „eigenständigen Regionalentwicklung“ der 1980er und 1990er Jahre bis zur regionalen Innovationspolitik der Gegenwart.
Wesentlich erscheint heute, dass Regionalpolitik und Regionalentwicklung nicht alleine auf gewohnte Faktoren wie „Betriebsansiedelung“ oder „Infrastruktur“ (Straßen, heute Datenautobahnen) setzen. Abgesehen von „externen“ und „traditionellen“ Faktoren (z.B. staatliche Rahmenbedingungen, Transferleistungen, Infrastruktur, Kapital, Naturressourcen) geht es im Kern um sogenannte „weichen“ Faktoren, die im Wesentlichen als „Fähigkeiten“ von Gemeinden, Bevölkerungsgruppen, Institutionen und Unternehmen in Regionen wahrgenommen werden sollten, wenn es darum geht, Wandel zukunftsfähig zu gestalten.
Bei vielen erfolgreichen Innovations-Beispielen der letzten Jahre wird sichtbar, worauf es insgesamt ankommt: auf Innovationsorientierung, Erneuerungsgeist und Denken in Alternativen, auf das Erkennen und Nutzen vorhandener Potenziale, auf Kooperationsgeist und Kooperationsfähigkeit, auf einen positiver Umgang mit kultureller Diversität und sozialer Vielfalt, auf Teilhabe und Beteiligung, auf langfristiges und zukunftsorientiertes Denken, auf die Vernetzung mit dem überregionalen Umfeld und im Besonderen auf einen bestmöglichen Umgang mit Wissen (Wissenspotenziale, Wissenschaft).
Daher sollte in diese Fähigkeiten von und „in“ ländlichen Regionen, mit veränderten Rahmenbedingungen und Herausforderungen umgehen zu können, ebenso investiert werden, wie in Infrastruktur.
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Dieser Textbeitrag von Günther Marchner ist im Sammelband von Rudolf Egger und Alfred Posch (Hrsg.): Lebensentwürfe im ländlichen Raum. Ein prekärer Zusammenhang? Wien, 2015 erschienen.