Nach Teschen und Auschwitz – Zum Geburts- und Todesort von Viktor Ullmann

Ein Projekt zur Gedenk- und Erinnerungskultur gegen Nationalsozialismus und Faschismus

Günther Marchner als Vertreter von „conSalis“ koordinierte für die Mittelschule MS 5 Klagenfurt-Wölfnitz das Pilotprojekt „Teschen-Isonzo-Kärnten-Auschwitz-Viktor Ullmann-Vom Geburts- zum Todesort“ anhand authentischer Gedenkorte in der Tschechischen Republik und Polen in Bezug zu Kärnten in der Republik Österreich, Český Těšín in der Tschechischen Republik, Cieszyn in der Republik Polen sowie zu den Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz I (das Stammlager) und dem Vernichtungslager Auschwitz II (bekannt unter dem Namen Auschwitz-Birkenau). Das Pilotprojekt fand zwischen 22. und 25. April 2024 statt. Am Beispiel der Biografie des Komponisten Viktor Ullmann (1898-1944) befassten sich Schülerinnen und Schüler der Mittelschule anhand der Geschichten der Stadt Teschen (heute eine zweigeteilte Stadt als Český Těšín in der Tschechischen Republik und Cieszyn in der Republik Polen), des Landes Kärnten und zweier Weltkriege mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Die Koordination des Pilotprojektes bestand auch darin, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie ein derartiges Projekt nur unter Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln durchzuführen ist. Dabei wurden bei Durchführung des Projektes nur öffentliche Verkehrsmittel des Bahnverkehrs in Österreich (Österreichische Bundesbahnen), in der Tschechischen Republik (Český Drahy und Österreichische Bundesbahnen) und in Polen (Koleje Slaskie und Österreichische Bundesbahnen) benutzt und dabei auch das beste Preis-Leistungsverhältnis erzielt. Zudem wurde die Bahn als öffentliches Verkehrsmittel auch deshalb zur Durchführung des Projektes herangezogen, weil der Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschen Reiches gegen die jüdische Bevölkerung Europas, die Staaten Europas – insbesondere projektbezogen der Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht – in Zentraleuropa und deren Regierungen und Armeen, den politischen Widerstand gegen den Totalitarismus der NS-Diktatur, Roma und Sinti, sowie die Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens mit der Bahn als Transportmittel durch geführt worden ist.


Die Koordination des Pilotprojektes hatte zum Ziel, die Begünstigten des Projektes, die MS 5 Klagenfurt-Wölfnitz mit jenen Institutionen zusammenzuführen, die für die inhaltliche Umsetzung der Konzeption heranzogen worden sind und im Rahmen des Pilotprojektes einen Teil der Konzeption umsetzten, nämlich das Muzeum Śląska Cieszyńskiego vertreten durch Direktorin Dr. Irena French in Cieszyn (Polen), das Muzeum Těšínska vertreten durch Direktor Dr. Zbyšek Ondřeka in Český Těšín (Tschechische Republik) und ARBOS – Gesellschaft für Musik und Theater vertreten durch Mag. art. Herbert Gantschacher (Österreich). Diese drei Institutionen erbrachten die Leistungen für die Durchführung des Pilotprojektes als Eigenleistungen mit Führungen und Vorträgen in Cieszyn und Český Těšín.

Die Leistungen, die von der Gedenkstätte Auschwitz mit Führungen durch das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz I (das Stammlager) und das Vernichtungslager Auschwitz II (bekannt unter dem Namen Auschwitz-Birkenau) erbracht worden sind, sind im Rahmen des Pilotprojekt finanziert worden.

Der Erste Weltkrieg ist der Ausgangspunkt für die Katastrophen des 20. und 21. Jahrhunderts, dessen Folgewirkungen auch im zentraleuropäischen Raum bis heute spürbar sind. Mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie entstanden zahlreiche Nachfolgestaaten, verbunden mit neuen Grenzziehungen. Die Folgen des Nationalsozialismus und die nachfolgenden politischen Grenzen zwischen Ost und West taten in diesem Raum ihr Übriges. Die Geschichte des zentraleuropäischen Raumes ist daher im Besonderen auch eine Geschichte der Grenzziehungen, denn viele historische Regionen wurden dabei zerschnitten. Dies betraf zum Beispiel Kärnten, das durch die neuen Grenzen seine europäische und internationale Anbindung durch die Eisenbahn verlor. Grenzziehungen fanden in vielen Fällen entlang von Flüssen statt, wie im Fall von Teschen entlang des Flusses Olsa, oder im Fall von Gmünd entlang der Lainsitz, die das heutige Gmünd im Waldviertel vom tschechischen České Velenice trennt. Als ein Beispiel dafür kann auch die alte steirische Stadt Radkersburg gelten, heute ein idyllisch wirkender Kurort inmitten österreichischer und slowenischer Weinberge. Nach 1918 wurde die Stadt in das österreichische Radkersburg und das jugoslawische, später slowenische Radgona entlang der Mur geteilt, begleitet von den konflikthaften Folgen von Nationalismus, Nationalsozialismus und den nachfolgenden politisch-staatlichen Grenzziehungen.


Eine Zugreise von Klagenfurt über Wien nach Cieszyn und Český Těšín (früher als eine Stadt mit dem Namen Teschen) bzw. nach Oświęcim (zum Besuch der Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz I, dem Stammlager, und Auschwitz II, dem Vernichtungslager Auschwitz- Birkenau), wie im Falle dieses Pilotprojektes mit der MS 5 Klagenfurt-Wölfnitz, aber auch andere Besuche in den Nachbarländern Österreichs können daher immer wieder für Irritationen sorgen. Denn die durchreisten Kulturlandschaften lassen sowohl Spuren einer gemeinsamen Geschichte als auch harter Grenzziehungen erahnen. Diese Grenzen scheinen auch lange nach 1989 nach wie vor wirksam zu sein, wenn man bedenkt, wie viele Bekannte und Freunde im persönlichen Umfeld keine Neugier auf unsere unmittelbare Nachbarschaft entwickeln. Denn diese erscheinen ihnen in der Regel als rückständig und unattraktiv, aber vor allem sind ihnen die Kulturräume in der Nachbarschaft oft unbekannt. So wurde trotz eines gemeinsamen kulturellen und historischen Erbes, verschüttet durch die Katastrophen des 20. Jahrhunderts, nach der Grenzöffnung von 1989 die Entfremdung zwischen Nachbarländern und Nachbarregionen deutlich spürbar. Erst durch mit dem Beitritt Sloweniens, Ungarns, der Tschechischen Republik und Polens zur Europäischen Union beginnen sich diese Grenzen langsam aufzulösen. Allerdings äußern sich die „Grenzen im Kopf“ auch heute noch in vielerlei persönlichen Erfahrungen: Wenn bei einer Radreise entlang der Donau Richtung Slowakei und Ungarn auf dem Hainburger Hauptplatz von Passanten darauf hingewiesen wird, dass man „mit denen da drüben“ nichts zu tun habe. Wenn Weinviertler, die unmittelbar an der tschechischen Grenze leben, selbstverständlich verkünden, noch nie einen Fuß über die Grenze gesetzt zu haben. Wenn trotz geografischer Nähe die tschechische, polnische oder slowakische Nachbarschaft noch immer nicht wahrgenommen wird und es kaum Berührungspunkte gibt und Urlaubsreisen von Wien aus vorrangig in westliche Richtung unternommen werden. Die österreichische Geschichte, vor allem auch die Geschichte Kärntens, und die Geschichte der Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie ist Grund genug, um in einem nicht selbstverständlichen gemeinsamen Europa die Spuren der Geschichte und auch die Gegenwart dieses Raumes im wahrsten Sinn des Wortes mit der Bahn zu „erfahren“ und kennenzulernen.

Das Pilotprojekt der MS 5 Klagenfurt-Wölfnitz mit Reisen nach Cieszyn und Český Těšín (früher als eine Stadt mit dem Namen Teschen) bzw. nach Oświęcim (zum Besuch der Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz I, dem Stammlager, und Auschwitz II, dem Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau) hat allerdings auch einen mehr als erwähnenswerten Bezug zum Land Kärnten: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und im Zuge der Konstituierung der Nachfolgestaaten des zerfallenen Habsburgerreiches entschied eine alliierte Kommission über die staatliche Zugehörigkeit von Gemeinden und Regionen. Sie setzte Abstimmungen über die zukünftige staatliche Zugehörigkeit (Republik Österreich oder Staat der Serben, Kroaten und Slowenen, das spätere Jugoslawien) einiger Gemeinden in Südkärnten den 10. Oktober 1920 fest. Dieselbe Kommission setzte auch in Westungarn und dem im Entstehen begriffenen österreichischen Bundesland, dem Burgenland, eine Abstimmung über den Verbleib des Gebietes der Stadt Ödenburg / Sopron fest für den 16. Dezember 1921. Dieselbe alliierte Kommission entschied aber auch, dass es in der Stadt Teschen zu keiner Abstimmung kommen wird, die Stadt von der Kommission zur Teilung bestimmt worden ist, in Český Těšín in der damaligen Tschechoslowakei (heute Tschechische Republik) und in Cieszyn in der Republik Polen.


Mit diesem Pilotprojekt konnten junge Menschen für die gemeinsame Geschichte und Gegenwart dieses größeren gemeinsamen Raumes sensibilisiert werden, für die Narben der Geschichte des 20. Jahrhunderts ebenso wie für gegenwärtige Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Das Pilotprojekt versteht sich als Beitrag auch für interaktive Formen der Erinnerungskultur, dies vor allem für den Pflichtschulbereich, aber darüber hinaus für die breite Bevölkerung, denn es werden über dieses Pilotprojekt nicht nur die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler erreicht sondern auch deren Angehörige, Eltern, Erziehungsberechtigte und Elternteile, die sich für dieses Pilotprojekt im Rahmen der schulischen Vorbereitung und Nachbereitung schulintern koordiniert von Franz Holzer, Leiter des Gegenstands Darstellende Kunst als Schulspiel an der MS 5 Klagenfurt-Wölfnitz mit den teilnehmenden Lehrkräften, dem Direktor der Mittelschule MS 5 Klagenfurt-Wölfnitz, Erwin Weißmann, und der begleitenden Lehrkraft, Silvia Rothleitner, und dem Koordinator dieses Pilotprojektes, Dr. Günther Marchner.

Dieses Pilotprojekt leistet einen Beitrag für die kulturelle und politische Bildung zu jenen Ereignissen, die das 20. Jahrhundert im Wesentlichen geprägt haben. Das Pilotprojekt ermöglichte Schülerinnen und Schülern der Mittelschule Klagenfurt-Wölfnitz vielfältige Eindrücke und einen Zugang zur komplexen mitteleuropäischen Geschichte, in dessen Zentrum die Republik Österreich aber auch das Land Kärnten stehen. Ein derartiges Pilotprojekt umzusetzen ist keine Selbstverständlichkeit, es setzt ein entsprechendes Engagement der Schulleitung und deren Lehrkräfte voraus. Ein derartiges Projekt braucht schon als Pilotprojekt umfassende Koordination. Die Aufgabe des Koordinators bestand nun

– in der organisatorischen Vorbereitung des Pilotprojektes (Unterkünfte, Transport, Versorgung)

– in der Organisation des Programms, vor allem der Einbettung von Inhalten und Orten in einen stimmigen und machbaren Ablauf, sowie

– der Umsetzung der einzelnen Programmpunkte des Pilotprojektes.

Die Umsetzung dieses Pilotprojektes ist auch in seiner Modellhaftigkeit als Zukunftsmodell zu verstehen für andere Formen von Projekten, die dann von „conSalis“ in Kärnten mit Kärntner Institutionen im Bereich der Erinnerungskultur, des Kulturaustausches und von Jugendbegegnungen in den Kontext der europäischen Kulturräume zu setzen sind auch unter Berücksichtigung von Förderprogrammen, die von der Europäischen Union eben für solche Formen von Begegnungen erstellt werden.

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Bilder: © Günther Marchner

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